Herr Prof. Reschl, was kann man positiv aus dieser Krise lernen?
Zunächst einmal haben wir alle gesehen, wie wichtig der Öffentliche Raum ist für die Aufenthaltsqualität der Bevölkerung. Grünflächen, aber auch die Wohnqualität eines Quartiers, haben den enormen Stellenwert gezeigt, der ihnen zukommt. Leider hat man das meist vor allem daran gemerkt, was einem fehlt.
Manche sprechen schon von einem Trend, der vor allem junge Menschen wieder mehr aufs Land zieht …
Vor allem junge Familien haben in der Krise die großen Städte als Einschränkung erlebt. Sie werden in Zukunft noch stärker in ländlich geprägte Kommunen im Umfeld der Städte ziehen. Gemeinden, die ihre Wohnungspolitik klug ausrichten, werden die Gewinner sein. Die Folge: kleinere Gemeinden werden sich stark verändern, es werden dort neue Quartiere entstehen, auch mit Geschosswohnungsbau. Man kann sagen: Dörfer werden städtischer, Städte werden ländlicher.
Wohnraum und Naturnähe allein werden als Anziehungskraft aber wohl nicht ausreichen?
Nein, natürlich nicht. Daneben sind weitere flankierende Maßnahmen wichtig. Erstens: die Digitalisierung muss flächendeckend kommen. Zweitens: ein ausreichendes Angebot an ÖPNV. Drittens: die Grundversorgung an schulischen und Kinderbetreuungs-Einrichtungen. Viertens: eine medizinische Versorgung durch Allgemeinmediziner und Apotheke – und schließlich, fünftens: auch die Versorgung durch Waren des täglichen Bedarfs muss gewährleistet sein.
Mal angenommen, das alles ist vorhanden: dann können sich die Gemeinden im Umland von Metropolen vor Umzugswilligen nicht mehr retten?
Leider sind viele kleinere Gemeinden im Wohnungsbau darauf nicht vorbereitet. Es gelingt ihnen ja nicht einmal, die 20- bis 30-jährigen aus der eigenen Gemeinde am Ort zu halten. Das liegt daran, dass in der Vergangenheit fast nur Neubaugebiete mit Einfamilienhäusern geplant wurden und die Ortsmitte vernachlässigt wurde. Man müsste viel mehr Wert auf die qualitative Aspekte der Gemeindeentwicklung legen und vor allem für den Wohnungsbau eine ganz andere Herangehensweise wählen.
Was konkret meinen Sie damit?
Wir sollten nicht nur Häuser bauen, wir müssen Quartiere schaffen. Es geht gerade auch in den kleineren Gemeinden immer mehr darum, Aufenthaltsqualität und gute Nachbarschaften zu ermöglichen. Dazu braucht man aber auch differenzierte Wohnungsangebote, beispielsweise für Menschen, die vielleicht noch kein Eigenheim bauen wollen, die vielleicht erst einmal zur Miete wohnen möchten oder in kleineren Eigentumseinheiten. Das gilt übrigens auch für die ältere Generation, die im Alter ganz spezifische Wohn- und Lebensbedürfnisse hat. Da gibt es immer noch viel zu wenig kreative und phantasievolle Lösungen. Deswegen muss die Frage, wie sich eine Gemeinde entwickeln soll, immer am Anfang eines solchen Prozesses stehen.
Der Platz für solche Projekte wäre vorhanden?
Aber ja! Wenn man sich die Ortskerne anschaut, sehen viele davon ziemlich bescheiden aus. Da stehen Häuser leer, es gibt keine Gastwirtschaft und keine Geschäfte mehr, ehemals landwirtschaftliche Gebäude stehen ungenutzt herum. Das Potential an Baulücken, an Brachen oder an Leerständen ist in den meisten Gemeinden enorm hoch. Das muss man nutzen.
Drum herum gibt es dann Neubaugebiete, die sind ganz propper. Das nennt man den Donut-Effekt beziehungsweise: Außen hui, Innen pfui. Innenentwicklung ist aber viel mehr als Kosmetik, es geht letztlich um Identität, um Identifikation.
Wie kommt man da hin?
Man muss davon wegkommen, Wohnungsbau als Problem der Immobilienwirtschaft zu betrachten. Man muss als Gemeinde eine eigene Vision, ein Ziel formulieren, wohin man sich entwickeln will. Das ist eine andere Herangehensweise. Aber wer sich diesem Thema nicht stellt, wer nicht rechtzeitig die Weichen stellt, für den fährt der Zug in die falsche Richtung ab.
Die Fragen stellte der Journalist Philipp Maußhardt